Interviews mit zwei atheistischen Flüchtlingen

Wie viele Flüchtlinge aus muslimischen Ländern Atheisten sind, wisse niemand. Manchmal werde ihnen nicht geglaubt. Und oft würden sie sich vor Mobbing oder Gewalt fürchten, schreibt Die Zeit. Auf diesem Blog habe ich bereits zwei Flüchtlinge aus Nationen mit der Staatsreligion Islam vorgestellt.

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Bild: SANDRO BUCHER

«Ich habe immer noch Hoffnung» – Interview mit Kacem El Ghazzali, Marokko

Weil er nicht an Gott glaubt, wurde Kacem El Ghazzali in seiner Heimat Marokko mehrfach attackiert und mit dem Tod bedroht. Vor vier Jahren ist der 24-Jährige in die Schweiz geflüchtet und hat sein altes Leben hinter sich gelassen. Seine Überzeugung bleibt ungebrochen, auch wenn er damit weiterhin sein Leben riskiert. Link zum Interview.

«Es besteht die Gefahr eines Bürgerkriegs» – Azam Khan, Bangladesch

Anfang April wurde der säkulare Blogger Nazimuddin Samad in Bangladesch auf offener Strasse ermordet. Wie bereits sechs Kritiker des radikalen Islamismus vor ihm. Einer von Nazimuddins Freunden, Azam Khan, lebt heute in der Schweiz. Auch er steht auf einer von islamistischen Gruppen zusammengestellten Todesliste von Atheisten. Link zum Interview.

Warum geniesst die katholische Kirche wieder mehr Vertrauen?

Laut einer österreichweiten Umfrage zum Thema Glaubwürdigkeit geniesst die katholische Kirche das Vertrauen von 46 Prozent der Bevölkerung. Das sind elf Prozent mehr als im letzten Jahr. Wie dieser Aufstieg zu erklären ist, zeigt unter anderem ein Blick auf die anderen Gewinner und Verlierer dieser Umfrage.

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Der Vatikan geniesst, zumindest in Österreich, wieder ein hohes Mass an Vertrauen. (Foto: ISABELLA PECHLIVANIS/pixelio.de)

Fast jeder zweite Mensch in Österreich schenkt der katholischen Kirche sein Vertrauen. Das zeigt eine aktuelle Umfrage, die unter anderem von dem sozialwissenschaftlichen Institut Sora durchgeführt wurde. Und auch bei den abgefragten Persönlichkeiten glänzt die Kirche: Papst Franziskus erreicht mit 82 Prozent den zweiten Platz hinter Ski-Star Marcel Hirscher, dem 83 Prozent der befragten Personen vertrauen.

Was glaubwürdig macht

Auch wenn Katholikinnen und Katholiken in Österreich noch immer in der Mehrheit sind (60 Prozent), überrascht dieses hohe Mass an Vertrauen. Vor allem, wenn man sich ansieht, anhand welcher Eigenschaften das Vertrauen gemessen wurde:

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(Screenshot: Folie klar.SORA Glaubwürdigkeitsranking 2016)

Die stärksten statistischen Zusammenhänge mit Glaubwürdigkeit zeigen laut den Befragern folgende Beschreibungen: «ist ehrlich», «tut, was er/sie sagt» und «hält, was er/sie verspricht»; fast gleich stark wirken «ist offen und transparent» sowie «bei ihm/ihr passt alles zusammen», schreibt ORF.

Auch ohne viel Zynismus und Spott ist kaum von der Hand zu weisen, dass viele dieser Eigenschaften bei der katholischen Kirche nur wenig oder gar nicht zutreffen. Wie aber sind diese positiven Entwicklungen dann zu erklären?

«Der Franziskus-Effekt»

In den Skandaljahren 2010 bis 2013 verlor die Kirche nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sondern auch das Vertrauen hunderttausender Katholiken. Viele Gläubige konnten über die Pädophilie-Vorwürfe an ranghohen Bischöfen, Priestern und Pfarrern nicht hinwegsehen und wendeten der Kirche den Rücken zu. Die Beliebtheit der Kirche war auf einem neuen Tiefpunkt, die Zahl der Kirchenmitglieder sank täglich im vierstelligen Bereich.

Damals stellten sich viele Theologen und Laien nach dem Rücktritt von Benedikt XVI. die Frage: Kann ein einzelner Mann das Schiff Petri wieder auf Kurs bringen? Mittlerweile hat Franziskus bewiesen: Ja, er kann. Auch wenn er im Vatikan selbst nur wenig bewegt, findet durch seine zukunftsgerichteten und liberalen Aussagen ein Umdenken in der Öffentlichkeit statt. So wie vor ein paar Tagen, als er sagte, dass Homosexuelle, Frauen, Geschiedene und ausgebeutete Kinder eine Entschuldigung für ihre Behandlung durch die Kirche verdient haben.

Seit Franziskus Papst ist, findet ein Akt der Entrümpelung altbewährter Traditionen und Ansichten statt. Denn auch ihm war klar, dass an ihm die Glaubwürdigkeit der Kirche neu bemessen werden würde. So hat der sogenannte «Franziskus-Effekt» auf jeden Fall sehr viel damit zu tun, dass die Kirche derzeit einen Frühling der Vertrauenswürdigkeit erlebt.

Schwere Zeiten

Ein nicht minder wichtiger Faktor ist die momentane gesellschaftliche und politische Unsicherheit in Europa: Viele Menschen, auch solche, die sich nicht als Christen bezeichnen, verlangen derzeit von den Kirchen klare Haltungen und Mithilfe bei aktuellen Problemen, wie beispielsweise der Flüchtlingssituation. Denn dass sich Menschen in Krisensituationen oft zum Glauben hinwenden oder sich wieder ihrer religiösen Wurzeln bewusst werden, zeigte sich in der europäischen Vergangenheit schon des Öfteren.

Auch drückt sich die momentane Unsicherheit in den anderen Ergebnissen der Glaubenswürdigkeits-Umfrage aus: Der österreichischen Regierung vertrauen nur noch 30 Prozent (-7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr), der EU-Kommission 25 Prozent, Eva Glawischnig, einer österreichischen Grünen-Politikerin, nur noch 42 Prozent (-9 Prozent) und  Angela Merkel nur noch 45 Prozent (-25 Prozent!).

Der Heilige Zeitgeist

Zurzeit wird in der Schweiz über die «Ehe und Adoption für alle» diskutiert. Während neben liberalen Bewegungen sogar Theologiestudentinnen und -studenten diese Forderung unterstützen,  halten sich die Landeskirchen mit ihrem Zuspruch zurück. Nicht zuletzt, weil der Appell eine theologische Grundsatzfrage tangiert: Wie weit darf sich die Kirche dem Zeitgeist anpassen?

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Wie weit darf sich die Kirche aus theologischer Sicht dem Zeitgeist anpassen? (Bild: katholisches.info)

Die Menschen der Katholiken-Hochburg Irland haben mit ihrem Ja zur Heirat für gleichgeschlechtliche Paare vor rund einem Jahr eindrücklich gezeigt, dass konservative Kirchenkreise zumindest in dieser Gesellschaftsfrage den Kontakt zur Basis komplett verloren haben. Von einem «substanziellen Riss zwischen der katholischen Kirche und der Gesellschaft» sprach der Erzbischof von Dublin, Diarmuid Martin, und bewertete den Ausgang des Referendums im Interview mit der Internetplattform „Vatican Insider“ als «Zeichen einer Kulturrevolution».

Kampf in der Schweiz

Von diesem irischen Revolutionsgeist beflügelt, kämpfen in der Schweiz unter anderem die Grünliberale Partei und die politische Bewegung «Operation Libero» für die Gleichstellung von homosexuellen Partnerschaften und die daraus entstehende Familienformen.

Währenddessen befürchten Gegner dieser Forderung, dass durch die Ehe für alle das traditionelle Familienbild geschwächt wird: «Es ist an der Zeit, die Demontage der traditionellen Familie zu stoppen», sagt EDU-Politiker Marco Giglio, Co-Präsident eines Komitees, dass die «Homo-Ehe» verhindern will. «Die Ausdehnung der Schwulenrechte ist ein Angriff auf die Familie.»

Kirche im Dilemma

Dass in der heutigen Zeit noch immer von einer traditionellen Familie gesprochen wird, ist eine Desavouierung des Zeitgeistes. Denn Familienkonstellationen und Lebensformen, die von der Tradition abweichen, sind längst gesellschaftliche Realität. Auch in der Schweiz. Trotzdem verzichten die hiesigen Landeskirchen immer noch darauf, klar Stellung zu beziehen.

Und das, obwohl eine Anpassung des Eherechts gar kein fundamentaler Umsturz der theologischen Stossrichtung der Kirche wäre. Schliesslich stammt das gesamte Eherecht in seinen Wesenszügen erst aus dem Hochmittelalter. Das erwähnt auch der österreichische Theologe Horst Herrmann in seinem Buch «Die sieben Todsünden der Kirche» und stützt damit seine These: «Die Kirche versucht noch immer, hundertfältig vorgenommene Adaptionen an vergangene Gesellschaftsformen und Ideologien als zeitlos gültige Aussageweisen auszugeben».

Klare Stellungnahme fehlt

Der Schweizer Theologe Walter Ludin kommt zum selben Schluss: «Vor Jahrhunderten hat sich die Kirche an den damaligen Zeitgeist angepasst. Nun tut sie so, als ob sie dabei ewige Wahrheiten verkünden würde», schreibt der Kapuziner in einem aktuellen Kirchenblog. «Gleichzeitig weigert sie sich, sich an heutige kulturelle Standards anzupassen. Zum Beispiel an demokratische Strömungen. Lieber bleibt sie monarchisch und behauptet, Jesus habe es so gewollt.»

Das Eherecht ist also kein in Stein gemeisseltes Dogma. Dennoch ist die Öffnung der Ehe eine ethische und moralische Grundsatzfrage, die die Geister scheidet und bis in den Kern des christlichen Familien- und Gesellschaftsbilds bohrt. Gerade deshalb ist es für die Landeskirchen unabdinglich, sich auch bei derart heiklen Gesellschaftsfragen zu äussern; was noch keine endgültige Positionierung an einer der polarisierenden Fronten zur Folge haben muss. Im Zentrum steht, wie bei jeder Debatte, die Suche nach Integration gesellschaftlicher Gegensätze, geleitet von den Mechanismen der demokratischen Auseinandersetzung. Keiner monarchischen.

«Mein Senf»: Religiöse Macht und Ohnmacht

Das Schweizer Radio Fernsehen verfügt als einziges Medienhaus in der Schweiz über eine Fachredaktion, die sich ausschliesslich mit Fragen des Glaubens und der Religion beschäftigt. Das es mit diesem lobenswerten Engagement alleine in der Schweizer Medienlandschaft steht, ist bedenklich, scheint doch gerade in der heutigen Zeit eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesen Themen so wichtig. Wie aber geht das SRF mit der Verantwortung um, die sie sich mit einem «medialen Religions-Monopol» geschaffen hat? «Mein Senf» dazu auf SRG Insider.

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«Sendungen wie das „Wort zum Sonntag“ sind in unserer pluralistischen Gesellschaft nicht mehr zeitgemäss.» Illustration: SRG INSIDER

Dass SRF mit seinem lobenswerten Engagement alleine in der Schweizer Medienlandschaft steht, ist bedenklich, scheint doch gerade in der heutigen Zeit eine differenzierte Auseinandersetzung mit diesen Themen so wichtig. Im Jahr produziert die SRF-Religionsredaktion rund 400 journalistische Beiträge. Diese können in zwei Gruppen unterteilt werden: Sendungen über Religion und religiöse Sendungen.

Mit Sendungen über Religion wie den Sternstunden leistet die SRF-Religionsredaktion einen essentiellen und mehr oder weniger ausgewogenen Beitrag in der Schweizer Medienwelt. Gleichzeitig hält sie aber an religiösen Sendungen fest, die in unserer pluralistischen Gesellschaft nicht mehr zeitgemäss sind: Im ‹Wort zum Sonntag› werden Gedanken aus sogenannt christlicher Sicht vermittelt. Dabei kommen Theologinnen und Theologen der drei Landeskirchen sowie ab und an ein Vertreter der evangelisch-methodischen Kirche zu Wort.

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Nun sag, wie hast du’s mit der Religion?

Da ich mich sowohl beruflich als auch privat mit Religion auseinandersetze, durfte ich jene Frage, die Gretchen dem Faust in Goethes epochalem Werk stellt, schon öfters beantworten. Nicht selten wird die Gretchenfrage dabei begleitet von dem Nachtrag: «Aber du bist doch Atheist, warum beschäftigst du dich überhaupt mit Religion und der Kirche?»

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Faust im Studierzimmer (Gemälde von Georg Friedrich Kersting, 1829)

Im Schweizer Sonnenkanton Tessin erschlich ich mir vor rund siebzehn Jahren meinen ersten, unlauteren Blick hinter die Kulissen der katholischen Kirche. Vor einem tiefliegenden Pfarrhausfenster bat ich meine Grossmutter, auf ihre Schultern steigen zu dürfen, um einen Blick ins Innere des Gotteshauses werfen zu können. Von meinem neuen Aussichtspunkt aus, sah ich direkt auf die Halbglatze des Pfarrers und konnte ihn beim Schreiben eines Briefes beobachten – ein Bild, das sich bis heute bei mir eingeprägt hat.

Weitere Erinnerungen an die ersten Sommerferien in der Südschweiz beinhalten diverse Kirchen-, Kloster- und Kapellenbesichtigungen sowie meine fortwährende Fragerei von «Was bedeutet dieses Symbol?» über «Wer ist dieser Heilige?» bis «Was ist der Unterschied zwischen katholisch und reformiert?». Fragen nach dem «Wieso, Weshalb, Warum» würden erst später folgen. Wie auch Gretchen habe ich in meinen Kindesjahren die Kirche und die Religion nicht hinterfragt und hätte sie wohl dabei bekräftigt, als sie in Goethes Faust die damalige öffentliche Meinung aussprach: «Man muss dran glauben!»

Steigende Meinungsvielfalt

Die Gretchenfrage zeigt auf, wie viel sich seit Goethes Zeiten verändert hat. Fausts zurückhaltendes «Muss man daran glauben?» muss nicht mehr hinter vorgehaltener Hand geflüstert werden. Eine Befragung des Schweizer Bundesamtes für Statistik zeigt, dass 2016 fast jede vierte Person in der Schweiz konfessionslos ist. Gretchen würde das gar nicht gefallen.

Doch konfessionslos heisst noch nicht religionslos, und deshalb befindet sich ein Grossteil der europäischen Bevölkerung vermutlich irgendwo zwischen Faust und Gretchen. Viele Menschen machen sich ein eigenes Bild des Göttlichen, einige setzen auf Esoterik und Astrologie, einige sagen ja zu Gott und nein zur Kirche und wiederum andere sind Religion und Kirche gegenüber indifferent oder gar feindlich.

Bindung durch Distanz

Obwohl ich in der erzkatholischen Innerschweiz aufgewachsen bin und die Grundlagen und die Verfassung der Schweiz stark von sogenannten christlichen Werten geprägt sind, war eine Identifikation für mich nach meinen Kindestagen nie mehr spürbar. Mein fragiler Draht zu Gott und meinem Glauben zerbrach bereits an der ersten, kritischen Auseinandersetzung am Ende meiner Primarschulzeit. Als Folge davon habe ich den Atheismus als für mich richtige Auseinandersetzung mit der Religion entdeckt. Ironischerweise wurde ich durch den subjektiven Religionsunterricht in meiner Entscheidung bekräftigt.

Mein unablässiges Interesse an den Systemen und Menschen hinter der Religion wurde durch diese Distanzierung jedoch nur noch intensiver. Da Gläubige etwas besitzen, das mir fehlt und ich glücklicherweise dennoch nicht vermisse, bleiben die Gespräche mit ihnen für mich stets ertragreich und interessant, sofern sie grundehrlich mit ihrem Glauben umgehen und sie nicht doktrinistisch und gnadenlos festgefahren sind. Aber auch hier begegne ich einer paradoxen Bindung: Je mehr ich mich mit Religion auseinandersetze, desto abwegiger wird es für mich, je einem Glauben anzuhängen.

Förderung des Dialogs

Bücher und Essays von Christopher Hitchens, Richard Dawkins und Sam Harris halfen mir dabei, die zeitgenössische Philosophie der Aufklärung als Gegenstück zur institutionalisierten Religion und blindem Glauben besser zu verstehen und bildeten einen wichtigen Brückenschlag zum Existenzialismus. Religion wurde für mich fassbarer, verständlicher und logischer. Die delphischen Strukturen und Schemen wurden nach und nach aufgebrochen.

Gerade in der heutigen Zeit ist es enorm wichtig, dass man sich wieder intensiver und objektiver mit Religion und Glaube auseinandersetzt. Und dennoch ist in den (sozialen) Medien eine zunehmende Verhärtung der Fronten zu beobachten. Atheistinnen und Freidenker werden nicht ernst genommen oder schiessen polemisch gegen Gläubige, während Christinnen und Christen über Churer Bischöfe und Musliminnen und Muslime über den Islamischen Zentralrat der Schweiz definiert werden. Diese Frontenverhärtung kann und muss durchbrochen werden, um einen differenzierten Dialog mit den Religionen zu ermöglichen. Denn unser gesellschaftliches Zusammenleben ist ohne irgendeine Form der Religion gar nicht denkbar. Sie ist ein Spiegel unserer geistigen Souveränität oder eben Abhängigkeit.

David gegen Gott

Amerikas «Chefatheist» David Silverman geht mit Religionen und deren Vertretenden gnadenlos ins Gericht. Auf seiner Europa-Tour kam der «American Atheists»-Präsident nach Basel und Zürich, um sein neues Buch «Fighting God» und den sogenannten «Firebrand Atheism»vorzustellen: die Universalwaffe gegen die «grösste Lüge der Menschheitsgeschichte».

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«Hört auf, euch Freidenker zu nennen» – David Silverman bei seinem Vortrag im Karl der Grosse Zürich. (Bild: SANDRO BUCHER)

 «Sagt, dass ihr Atheisten seid, und hört mit diesem Freidenker-Bullshit auf», proklamiert Amerikas Chefatheist David Silverman bei der Mikrofonprobe im Zürcher Zentrum «Karl der Grosse» und legt damit vorzeitig den Grundstein für ein radikales Referat voller Überzeugung, Tatendrang und Strebsamkeit.

Schonungslose Aufklärung

Zu Beginn seines Vortrags hebt der Präsident der amerikanischen Atheisten hervor, dass Hardline-Atheismus sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene die effektivste Waffe gegen Religion sei: «Wenn ihr Religionen respektiert, so handelt ihr egoistisch und eigennützig.» Ein vorsichtiges Vorgehen im Kampf gegen die Religion sei der falsche Ansatz, wenn man etwas verändern möchte: «Religion ist ein Gift, dass aus den Wunden der Befallenen ausgesogen werden muss. Es liegt an uns, ihnen dabei zu helfen.»

Bei dieser Hilfestellung gehe es in erster Linie jedoch nicht darum, religiöse Menschen zum Atheismus zu bewegen: «Unser Ziel ist die Hoffnung der Aufklärung. Religiöse Menschen sind indoktrinierte Opfer ihrer sozialen Umgebung. Wir müssen die Ideologie angreifen, nicht den Menschen, und uns dabei jeglicher Dogmen enthalten.»

Fakten, keine Beleidigungen

Respektlosigkeit gegenüber jeder Religion: Das ist die unerschrockene «Firebrand Atheism»-Strategie, für die der Name David Silverman steht. Unter seiner Führung fanden in den USA PR-trächtige Werbeaktionen und Megaveranstaltungen wie die «Reason Rally 2012» statt, die als grösste atheistische Veranstaltung in die Weltgeschichte eingegangen ist.

Die wichtigste Regel beim «Firebrand Atheism» ist, dass Atheisten die Gläubigen nicht beleidigen: «Beschimpfungen sind Zeichen schwacher Argumente. Wir haben die stärksten Argumente auf unserer Seite, nämlich Fakten und Daten», sagt Silverman, «deshalb sind wir in der Pflicht, das Kind beim Namen zu nennen: Religion ist eine Lüge und alle Götter sind falsch.»

Silverman bekräftigt, dass er für gläubige Menschen Mitgefühl habe und sie genau deshalb nicht vor der brutalen Wahrheit schone. «Ich respektiere alle Menschen als Person, doch den Glauben respektiere ich nicht. Wer an Gott glaubt, ist nicht dumm, sondern Opfer der grössten Lüge in der Geschichte der Menschheit.»

«Hört auf, euch Freidenker zu nennen»

Nicht nur in Amerika, sondern überall auf der Welt sei es wichtig, keine Angst davor zu haben, sich als Atheist zu positionieren: «Relativierende Euphemismen wie Skeptiker, Humanisten, Säkulare, Agnostiker und Freidenker schaden unserer Sache», sagt Silverman, «in der Regel werden diese Begriffe von verkappten Atheisten verwendet, um nicht anzuecken.» Nur Atheismus sei der korrekte Terminus, bei dem alle verstünden, was gemeint sei.

Durch die sprachliche Verwässerung entstehe ein falsches Bild von Gottlosen, besonders in Amerika: «Viele denken, es gebe in den USA nur etwa drei Prozent Atheisten. Dabei kommt man durch das Zusammenzählen aller Atheisten, die sich hinter einem Euphemismus verstecken, locker auf rund dreissig Prozent. Dass wir uns nicht klar positionieren, schadet unserer Sache enorm.»

«Ein atheistischer US-Präsident wird kommen»

Seine fundamentale Haltung begründet der 49-jährige Amerikaner unter anderem durch die durchdringenden Missstände in seinem Land: «Stets betonen wir die Gleichheit unserer Bürger, doch wer nicht an Gott glaubt, kann beispielsweise eine Karriere in der Politik gleich wieder vergessen.»

Silverman sagt, er wisse aus persönlicher Erfahrung, dass sich im US-Senat Dutzende Atheisten verstecken, die nicht offen zu ihrem Unglauben stehen können. «Bis wir einen offen atheistischen US-Präsidenten haben, geht es bestimmt noch einige Jahrzehnte. Aber er oder sie wird kommen. Die religiöse Landschaft in den Vereinigten Staaten entwickelt sich im Eiltempo zu unseren Gunsten.»

Korrektes Kritisieren

Mängel und Unrechtmässigkeiten gegenüber Atheisten beobachtet Silverman nicht nur in der Politik, sondern in fast allen gesellschaftlichen Bereichen: «Als Gläubiger geniesst man überall Privilegien. Viele fühlen sich nur deshalb beleidigt, wenn man ihren Glauben kritisiert, weil sie Angst davor haben, ihre Sonderstellung zu verlieren.»

In diesen Fällen ist es wichtig, den Gläubigen klarzumachen, dass sich die Kritik nicht auf die Person, sondern auf die Religion bezieht: «Atheisten müssen sich bei Religionskritik den Nuancen religiöser Komponenten bewusst sein: Gott, Geister, Wunder und Offenbarungen basieren auf einer Lüge. Die karitative Arbeit der Kirche hat damit nichts zu tun und existiert nur, weil helfende Menschen empathisch sind. Das sind soziale Werte ohne religiösen Ursprung, die Respekt verdient haben.»

Fighting God

Silverman schliesst sein Referat mit der Aufforderung, sein atheistisches Manifest für eine religiöse Welt, «Fighting God», so schnell wie möglich vorzubestellen: «Durch gute Vorverkaufszahlen sind grosse Zeitungen und religiöse Magazine dazu gezwungen, über das atheistische Manifest zu berichten. Dadurch erreicht unsere Botschaft höhere Resonanz.» Das Buch zeige die Wahrheit über Religion und deren negative Effekte auf die heutige Gesellschaft sowie die wesentlichen Beweise dafür auf, wie die Inexistenz Gottes erfolgreich nachgewiesen werden kann. Eine deutsche Fassung ist noch nicht angekündigt.

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Das Interview erschien auf hpd.de.

Adoray – Bunter Katholiken-Konservativismus

Rund 500 Interessierte haben vom 6. bis 8. November das diesjährige «Adoray»-Festival im Schweizer Kanton Zug besucht. Die katholische Gebetsgruppe lockt mit einer jugendlichen Frische und umhüllt ihre konservativ-erzkatholische Vision hinter einem Schleier der Aufgeschlossenheit.

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Nebelhafte Kernbotschaften: Zurzeit ist in gewissen Punkten unklar, in welche Richtung die «Adoray»-Bewegung geht. (Bild: SANDRO BUCHER)

Am Anfang war der Entstehungsmythos. Die Gründung von «Adoray» geht nämlich auf eine Legende zurück: Mehrere  Jahre lang haben Brüder in einem Zuger Kloster dafür gebetet, dass sich eine junge und frische Gebetsgruppe bilden werde, die die katholischen Werte vertreten würde. Bis eines Tages zwei junge Männer an die Klostertür geklopft und die Brüder um Unterstützung bei der Gründung einer ebensolchen Gebetsgruppe gebeten haben.

Das war 2004. Heute, elf Jahre später, präsentiert sich die Adoray-Gebetsgruppe als bunt verpacktes Erzkatholiken-Geschenk, das trotz oder gerade wegen seiner Farbvielfalt kaum auffällt neben all den evangelikalischen Geschenken unter dem Freikirchen-Weihnachtsbaum der Schweiz.

Elegantis Feder

In den Adoray-Gebetsgruppen wird katholisches Gedankengut vermittelt und auch in dem diesjährigen Festival-Flyer scheinen die Organisatoren nur knapp daran vorbeizuschrammen, von einer römischen Linie und Papsttreue zu sprechen: «Adoray wird von engagierten, vom Glauben an Jesus Christus begeisterten, katholischen, jungen Menschen organisiert. Adoray untersteht dem Jugendbischof der Schweizerischen Bischofskonferenz, der die Statuten bestätigt hat.»

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Auszug des diesjährigen Adoray-Flyers. (Screenshot)

Auffallend ist, dass der Jugendbischof der Schweizerischen Bischofskonferenz nicht namentlich erwähnt wird. Nur im Programm des Flyers findet man dessen Namen beim Abschlussgottesdienst am Sonntag: Marian Eleganti. Zur Erinnerung: Marian Eleganti ist jener Bischof, der im Mai dieses Jahres dazu aufgerufen hat, den modernen Menschen zur Umkehr zu bewegen und dass sich nicht die Kirche der heutigen Zeit anpassen solle, sondern umgekehrt.

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Elegantis Plädoyer für eine rückständigere Gesellschaft, die sich der Kirche anpasst (Auszug «Bote der Urschweiz», Front, 11. Mai 2015)

Die Schweizer Bischofskonferenz ist dafür bekannt, dass sie in sozial-ethischen und prophetischen Fragen für den römischen Revolutionsgeist Franziskus‘ nicht empfänglich ist. Unter dieser Prämisse wird sich Adoray nur schwer als zeitgemässe Institution mit katholischem Gedankengut etablieren können.

Schönborns Rede

Was Adoray dennoch schon jetzt von der römisch-katholischen Kirche abhebt, ist, dass «fehlerhafte» Menschen überall und immer willkommen sind. Unter Fehlerhaftigkeit versteht man beispielsweise Sex vor der Ehe oder Homosexualität.

So haben die Veranstalter des diesjährigen Adoray-Festivals in Christoph Schönborn den perfekten Kandidat für die Kanzel  gefunden: der 70-jährige Erzbischof von Wien ist ein Kardinal ganz im Sinne von Franziskus. Vordergründig fährt er eine liberale Schiene (ja zu Empfängnisverhütung, offen für Dialog mit anderen Glauben, etc.), hintergründig würde er jedoch auf ebendieser Schiene das Papstmobil gegen die Wand fahren (Stillschweigen zu Missbrauchsskandalen, Stillschweigen zu Vatileaks, etc.). Diese Zerrissenheit und Unschlüssigkeit widerspiegelt sich, zumindest gegen aussen, auch in den derzeitigen Adoray-Wertvorstellungen.

Adorays Jugend

Die junge Adoray-Community wird sich in den nächsten Jahren bestimmt noch formen, entwickeln, spezifizieren und mit grosser Wahrscheinlichkeit auch ausdehnen. Die Frage ist, ob sie im Laufe dieses Prozesses noch offener wird oder sich unter der Führung der Schweizer Bischofskonferenz noch strenger auf den Hauptgehalt der katholischen Kirche stütz. Und wie synchron sie den Kurs mit Rom fahren wird. Und wie gewissenhaft sich das jugendliche Publikum überhaupt an den gepredigten Grundsätzen orientiert, oder ob es für die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer nur eine «neo-traditionellere» Form eines Jugendtreffs ist. Die Entwicklung der Religiosität in der Schweiz deutet darauf hin, dass es eher Letzteres ist.